Der Rüstungskonzern Rheinmetall baut neuartige Schutzsysteme für Panzer, die er gern in die Türkei exportieren würde.
UNTERLÜSS.Im niedersächsischen Unterlüß hat der Erprobungsleiter der Rheinmetall-Tochter ADS ein lebensechtes Horrorszenario aufgebaut, das Soldaten etwa in Afghanistan fürchten. Ein simulierter Konvoi wird durch einen Selbstmordattentäter mit Autobombe gestoppt, dann nehmen Kämpfer die Fahrzeuge mit Panzerfäusten russischer Bauart von der Seite unter Beschuss. Das erste Geschoss geht noch daneben und zerfetzt einen Jeep, das zweite fliegt aber direkt aufs Ziel zu.
Jetzt wären die Soldaten im Fahrzeug in der Realität in Lebensgefahr. Doch weniger als einen Meter vor dem geschützten Fahrzeug – in der Probephase ein Versuchsaufbau mit Stahlplatten – wird die Panzerfaust in einer Flammenwand gestoppt. Ein Rheinmetall-Schutzsystem hat das Projektil mit Sensoren erfasst und mit einem Druck- und Energiestrahl vom Dach des Fahrzeugs aus in Millisekunden in der Luft zerteilt.
Was von dem Panzerfaustgeschoss noch am Fahrzeug ankommt, reicht gerade aus, um die Farbe der Panzerung etwas anzukratzen. „Alle Insassen unverletzt“, bilanziert ADS-Chef Stefan Haase den Versuch. Die Technik, die im Rheinmetall-Testzentrum in Unterlüß erprobt wird, ist genau diejenige, die der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dringend für seine in Deutschland gekauften Leopard-Panzer haben will. Bei den Kämpfen in Syrien verloren die Türken bereits zehn Leopard-Modelle durch Panzerfaust- oder Raketenbeschuss. Gefährlich ist vor allem der Häuserkampf, wenn nicht auf die dick gepanzerte Front, sondern von der Seite oder gar von oben auf sie angelegt wird.
Für etwa 100 Leopard-Panzer möchte die Türkei gern deutsche Schutzsysteme bestellen, heißt es bei Rheinmetall. Auch wenn es zu Preisen keine Angaben gibt, wäre das wohl ein Auftrag mit einem mittleren zweistelligen Millionenwert – und möglicherweise der Auftakt für weitere Nachrüstungsaufträge.
Der Export in die Türkei ist im Schwebezustand. „Hier gibt es einen quasi fertigen Vertrag, aber keine Genehmigung“, sagte Rheinmetall-Chef Armin Papperger am Donnerstag bei der Bilanzpressekonferenz, einige Tage nach der Technikvorführung. „Wir werden mit der Bundesregierung jetzt sprechen, wie die politische Situation jetzt ist.“ Er wies darauf hin, dass die Türkei Nato-Partner sei, aber die Bundesregierung nun einmal das letzte Wort habe bei Rüstungsexporten. Fachleute wie Max Mutschler vom Internationalen Konversionszentrum Bonn dringen darauf, am Exportstopp „bis auf Weiteres“ festzuhalten. Schon erteilte Genehmigungen sollten widerrufen werden, forderte Mutschler in einem vor Kurzem veröffentlichten Rüstungsexportbericht zur Türkei. Angesichts des „Angriffskrieges“ des Landes in Syrien sei auch eine Modernisierung von Leopard-Panzern nicht vertretbar. Möglicherweise findet Rheinmetall aber andere Abnehmer vor der eigenen Haustür: bei der Bundeswehr. Der Leopard hat Speck angesetzt, und seine Technik ist in die Jahre gekommen. „Wir müssen beim Leopard-Schutz was machen, aber noch mehr Panzerung ist schwierig, der Panzer wiegt schon 70 Tonnen und wird sonst zu schwer“, sagt der Vertreter des Bundeswehr-Beschaffungsamtes. „Wir sind hochinteressiert an der neuen Technologie.“ Rheinmetall rechnet wegen höherer staatlicher Investitionen ins Militär mit besseren Geschäften. Nachdem der Umsatz der Rheinmetall-Rüstungssparte 2017 um drei Prozent auf gut 3 Milliarden angestiegen war, geht das Unternehmen für 2018 von einem Plus zwischen 12 und 14 Prozent aus. Seinen Optimismus begründet Papperger mit den Zielen der Nato-Staaten, mehr Geld für ihre Armee auszugeben.